Das N-Wort in Pippi Langstrumpf

Das N-Wort in Pippi Langstrumpf – Der Zusammenhang zwischen Sprache, Denken und Rassismus

Pippi Langstrumpf oder mit vollem Namen: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf. Fast alle kennen dieses starke rothaarige Mädchen, ihre Geschichten und Abenteuer. Für viele Kinder war und ist diese freigeistige Fantasiefigur aus der Feder Astrid Lindgrens große Inspiration und in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Selbstständigkeit ein wichtiges Vorbild. Die Bücher vermitteln immer wieder die Nachricht: „Sei du selbst, sei anders. Lass dich nicht unterkriegen!“.

Doch an wen richtet sich diese Nachricht? Welche Andersartigkeit von welchen Kindern wird unterstützt, wenn in den gleichen Büchern Wörter gebraucht werden, die bestimmte Menschen in ihrer vermeintlichen Andersartigkeit diffamieren? Wörter wie im Falle von Pippi Langstrumpf das N-Wort. Welche Signale sendet die Nutzung dieses Wortes? Beeinflusst dieses Wort, welches aus heutiger Sicht klar als rassistisch gilt, das Denken der Kinder, die es lesen? Und wenn ja, wie? Diese Fragen werden schon seit längerem diskutiert. Was für die Einen wichtiges, unveränderbares Kulturgut ist, ist für die Anderen klar rassistisch und gehört in neueren Auflagen unbedingt geändert. Immer wieder geht es darum zu verhandeln, welche Stellung Sprache in der Gesellschaft hat. Welche Macht sie Inne hält und wie dementsprechend der Umgang mit ebendieser Sprache sein sollte. In diesem konkreten Fall geht es um das N-Wort und ob dieses im Kinderbuch geändert werden soll. Es geht um Sprache, um reproduzierten Rassismus und ums Denken und darum, wie es sich einander bedingt. Im Folgenden der Versuch einer philosophischen sowie antirassistischen Annäherung an das N-Wort in Pippi Langstrumpf auf Basis der Texte „Sprache und Denken“ von Wilhelm von Humboldt und „Exit racism“ von Tupoka Ogette:

Das N-Wort hat, wie so vieles andere auch, was in irgendeiner Weise im Zusammenhang zum Rassismus steht, seinen Ursprung in der Kolonialzeit. Es leitet sich vom spanischen Wort „negro“ ab, welches im Grunde einfach nur mit „schwarz“ zu übersetzten ist. Dennoch steckt hinter diesem Wort mehr als nur die Beschreibung einer Hautfarbe. Das N-Wort war und ist eine Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen von weißen Menschen und wurde genutzt um das Konstrukt der „Anderen“, der „Unterlegenen“ zu untermauern und somit das eigene Handeln, die Sklaverei, die Grausamkeiten zu legitimieren. In den deutschen Sprachgebrauch kam das N-Wort mit dem Aufkommen der „Rassentheorien“ ab dem 18. Jahrhundert  und stand also  immer im Kontext der Kolonialisierung und dem damit einhergehendem Willen, Schwarze Menschen abzuwerten, um das Eigene Handeln und die Ausbeutung zu rechtfertigen. Es lässt sich also, wie es Tupoka Ogette in ihrem Buch „Exit racism“ ausdrückt, nicht von der rassistischen Entstehung trennen und ist somit selbst ein rassistischer Begriff. Ein Begriff, der wie alle anderen Begriffe, wie unsere gesamte Sprache, unser Denken formt und prägt. Ein Begriff mit Macht.

Schon Wilhelm von Humboldt sieht und beschreibt den Zusammenhang und die Abhängigkeit von Sprache und Denken. Das Denken kann, so der Sprachwissenschaftler in seinem Text „Sprache und Denken“, nur durch die Sprache zum Ausdruck gelangen und steht somit immer in Abhängigkeit zu ebendieser. Des Weiteren schreibt auch Humboldt der Sprache Macht zu. Macht die Vorstellungen, Wahrnehmungen und Meinungen, die ein jede*r pflegt zu beeinflussen, ja gar zu bestimmen. „Der Mensch lebt mit den Gegenständen (…) so, wie die Sprache sie ihm zuführt.“, so Humboldt in seinem Werk. Für den Fall des N-Wortes in Pippi Langstrumpf lässt sich diese These noch erweitern. Nicht nur die Meinung über bestimmte „Gegenstände“ wird durch die Sprache bestimmt, auch die Meinung über verschiedenste Menschen, wird durch die Sprache bestimmt und manifestiert.

Das Nutzen rassistischer Fremdbezeichnungen wie das N-Wort prägen also auch unser Denken über Schwarze Menschen und BIPOC, die durch das Wort „beschrieben“ werden und provozieren sowie kräftigen rassistische Vorurteile und Denkmuster in unseren Köpfen. Dieses Denken wiederum, formt folglich auch die Realität, in der wir alle leben, sprechen und denken. Um dem entgegenzuwirken ist es also von großer Bedeutung, rassistische Sprache und rassistische Begriffe zu ändern oder zumindest als solche kenntlich zu machen. Gerade in Kinderbüchern, wo oftmals kein Hinterfragen stattfindet, ist dies entscheidend. Denn nach Tupoka Ogette lernen Kinder ununterbrochen. Sie wollen wissen, wie die Welt funktioniert, in der sie leben und sie wollen wissen, welchen Teil sie in dieser Welt einnehmen. Auch Schwarze Kinder und BIPOC übernehmen schon früh rassistische Vorurteile und internalisieren den Rassismus, der sich gegen sie wendet. So schreiben auch Kinder, die sich selbst als Schwarz identifizieren, Schwarzen Menschen und BIPOC vermehrt negative Eigenschaften zu, während sie weiße Menschen positiv bewerten. Dieser internalisierte Rassismus, der aus der Sozialisation in einem rassistischen System und eben auch aus Begriffen wie dem N-Wort in Büchern hervorgeht, kann z.B zu einem geringen Selbstwertgefühl von Schwarzen Kindern und BIPOC führen.

Astrid Lindgren selbst soll gesagt haben, sie stehe immer auf der Seite der Kinder, was Anlass genug sein sollte, das N-Wort in ihren Büchern zu streichen. Denn auch Kinder leiden unter diskriminierender Sprache und einer schlechten oder unzureichenden Darstellung von Schwarzen Menschen und BIPOC. Da ist zum einen die Gefahr, dass Schwarze Kinder und BIPOC, wie bereits oben erwähnt, den Rassismus internalisieren und gegen sich selbst wenden. Zum anderen kann Sprache verletzen und Menschen in Stress versetzen, so Ogette. Schon früh müssen Schwarze Kinder und BIPOC, ob bewusst oder unbewusst, lernen mit rassistischen Situationen, mit sog. Mikroagressionen, die sich gegen sie wenden, umzugehen. Dieser Umgang nimmt Energie und Zeit in Anspruch. Er kann zu anhaltendem Stress führen, welcher der psychischen und physischen Gesundheit der Kinder schadet. Ein unsensibler, diskriminierender Sprachgebrauch ist also nicht nur im gesellschaftlichen Kontext, in der Bekämpfung von Rassismus und Vorurteilen problematisch, sondern hat auch direkten Einfluss auf einzelne Biografien und (Kinder)Leben, die in diesem rassistischen System groß werden.

Abschließend ist es also wichtig festzuhalten, dass das N-Wort, wie alle anderen Wörter auch, unsere Sprache und unser Denken prägt und gestaltet. Deshalb muss es unbedingt aus den Büchern gestrichen werden. Sprache hat nicht nur die Macht, Vorurteile zu erzeugen und zu verletzen, sondern Sprache hat auch die Kraft, Kinder dazu zu ermutigen sie selbst zu sein und selbstbewusst ins Leben zu gehen. Sprache kann wahre Wunder bewirken, inspirieren und Mut machen. Sprache kann auf der Seite der Kinder stehen. Sprache kann auf der Seite aller stehen.